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It`s just a rumour that was spread around town...

 
clown
Noch einmal zurück ins Café Belga, wo ich Sonntags um 16:25 Uhr endlich Bölls "Ansichten eines Clowns" fertiggelesen habe. Mich überkommt ja immer ein grenzenlos peinliches Gefühl der Kulturlosigkeit, wenn ich klassische Schulliteratur erst im fortgeschrittenen Twen-Alter entdecke. Da entstehen dann rührende Situationen wie jene Mitte letzter Woche, als ich mit der wunderschönen Th. in einer Trattoria nahe des Rond Point Schuman Pasta aß und ihr völlig begeistert von den "Ansichten" erzählte. Sie lächelte zuckersüss und meinte, ja, es sei wirklich ein gutes Buch, sie habe es mit siebzehn auf Deutsch gelesen. Siebzehn! Auf Deutsch! Die Frau ist Griechin...

Wie auch immer, wer seine Kindheit und Jugend in katholischen Bildungseinrichtungen verbracht hat, ist Böll für das Ausleuchten diverser blinder Flecken im Menschenbild der sancta et una ecclesia catholica besonders dankbar.

bk-general
Sollte ich an dieser Stelle meinem Entzücken über das wunderbare Flagey noch nicht Ausdruck verliehen haben, so muss das spätestens jetzt geschehen. Und zwar nicht nur, weil das Belga Café (direkt unter dem alten Sendeturm) der beste Platz in Brüssel ist, um einen sonnigen Sonntag zu verbringen - vom Bois de la Cambre einmal abgesehen.

Sondern weil das Flagey einer jenen raren Orte ist, wo sich die sogenannte "Hochkultur" auf entspannte Art und ohne Alpdrücken auf den durchschnittlichen Bildungsbanausen niederlässt. Ein Ort wie das Radiokulturhaus oder das Kulturhuset in Stockholm.

Sonntag also im Café Belga verbracht. Nicht den gesamten Sonntag, um genau zu sein, denn am Morgen zeigten sie im Flagey "The General" von und mit Buster Keaton sowie Livebegleitung am Klavier. Selten so etwas Lustiges gesehen, und das Interessante an der Situation war, dass die dutzenden Kinder, die sich den Film mit ihren Eltern anschauten, eine Riesenfreude hatten. Hetz ohne Spezialeffekte, nur eines traurigen Pierrots wegen - wenn das die von Time Warner/AOL erfahren, kommt Keaton noch nachträglich auf den McCarthy-Index, so wie Charles Chaplin wegen seiner Rede am Ende von "The Great Dictator"...

peacerel
"War is not the answer", schallte es mir letzten Samstag am Rande der sogenannten "Anti-Kriegsdemo" in Brüssel entgegen. Die das behaupteten, felsenfest auf ihrer moralischen Lauterkeit thronend, trugen Schirmkäppchen mit dem Aufdruck "Not in my name". Diese sahen wie Scheuklappen aus.

Wie löst man den Widerspruch zwischen der Abneigung gegen einen Grossteil des Kabinetts Bush jr., einer ebensolchen des "Friedensengels" Chirac und einer unbedingten Unterstützung der friedlichen Konfliktlösung auf? Was soll man glauben, wenn man als Österreicher ohne eine militärische Intervention der USA und Grossbritanniens wahrscheinlich nicht auf die Welt und sicher nicht nach Brüssel gekommen wäre?

Und was soll man machen, wenn man das
liest, und dann das? Heulen vor Wut?

fischer_joschka_
Einer der vielen tollen Aspekte der Arbeit im Charlemagne-Gebäude der Kommission ist die nette kleine Café-Ecke im 13.Stock. Dort kann man sich nicht nur Schokoriegel naschend für neuausgerufene Obsttage belohnen. Vielmehr sind auf einem Regal alle nur erdenklichen Tages- und Wochenzeitungen versammelt, die man ab und an lesen sollte, sich jedoch nicht leisten kann/will.

Und so sei Ihnen das Interview mit Joschka Fischer im Feuilleton der heutigen FAZ nahegelegt. Ich erbleiche an meinem Arbeitsplatz vor Scham angesichts der Provinzialität österreichischer "PolitikerInnen". Ich würde im Ausland auch gerne durch einen Menschen vertreten, der zur Differenzierung zwischen Falken und Tauben in der US-Aussenpolitik fähig ist, dümmliche Personalisierungen à la "Wie mein lieber Freund Tony sagte..." im politischen Diskurs vermeidet und von einer "Weltinnenpolitik" träumt.

So ein Mensch sollte uns im Ausland vertreten. Und kein personifiziertes Noisette-Praliné in Stanniolverpackung.

Djindjic5

Am Abend des 13.Oktober 2002 sass ich am Fenster von K.s Wohnung im Zentrum Belgrads und konnte den serbischen Präsidentensitz fast mit Händen greifen.

Wir waren bei K.s Eltern in Arandjelovac zum Essen eingeladen gewesen, etwas mehr als eine Stunde mit dem Auto von Belgrad entfernt. Es war der Tag der serbischen Präsidentenwahl. K. und ihr Freund D. waren nicht wählen gegangen. Sie waren beide 23. Seit sie denken konnten, waren sie mit Propaganda à la Milosevic zugeföhnt worden. Danach von der NATO bombardiert. Politik war ihrer eigenen Aussage nach etwas, für das ihnen die Kraft fehlte. Dabei waren sie nicht unpolitisch. Sie wollten bloss ihre Ruhe haben. Irgendjemand würde die Dinge hoffentlich zum Besseren wenden.

Seit vorgestern ist ein Kandidat, auf den viele Serben gesetzt haben, aus dem Rennen. Während die meisten Kommentatoren einen Rückfall Serbiens in die Achtziger Jahre befürchten, hoffe ich auf das Gegenteil. Ich hoffe auf die demokratischen, intellektuellen Kräfte, die Belgrad einst zu einer Kulturhauptstadt Europas machten und am 5.Oktober 2000 Milosevic verjagten. Ich hoffe auf Leute wie Biljana Srbljanovic, Goran Svilanovic, Miroljub Labus. Auf K. und D.

Heute um 00:03 Uhr bekam ich eine Herde von SMS. K. meldete sich von ihrem Skiurlaub am Borovets, dem Hausberg der Belgrader. "I}m really angry (not sad, not disappointed)...is to make a good plan and go out of this country".

Ich wünsche mir, dass der erste Teil der SMS obsiegt.

1) Sich mit Korrespondenten der Irish Times betrinken. Egal, wie stark Du Dich fühlst: Er verträgt in jedem Fall mehr.

2) Den Erwerb einer Monatskarte für das Brüsseler ÖNV-Netz vor sich her schieben. Das Resultat ist entweder ein schlechtes Gewissen auf dem Weg von und zur Arbeit oder horrende Kosten für Einzelfahrscheine.

3) Den Regenschirm zu Hause lassen.

4) In Stilettos zur Arbeit stöckeln. Kleinkriminelle Jugendbanden auf der Suche nach laufschwachen Diebstahlsopfern warten nur auf so etwas.

5) Das "Chez maman" bereits vor 0:00 Uhr verlassen. Diesfalls verpasst man maman, und die hat es wahrlich in sich.

6) Smalltalk mit AbsolventInnen britischer Elitecolleges über Internationale Beziehungen führen wollen. Detto mit anciens élèves der ENA. Egal, wie oft Du in die NZZ oder den Nouvel Obs geschnuppert hast - die Jungs und Mädels kennen auch das Kleingedruckte. Sehr frustrierend, wenn man glaubt, die Weisheit zumindest mit Teelöffeln genascht zu haben.

7) Keinen Smalltalk mit AbsolventInnen britischer Elitecolleges über Internationale Beziehungen führen wollen. Detto mit anciens élèves der ENA. Egal, wie oft Du in die NZZ oder den Nouvel Obs geschnuppert hast - die Jungs und Mädels kennen auch das Kleingedruckte. Und das ist nicht nur wahnsinnig interessant. Es bestärkt auch die Hoffnung, dass eine offenere und gebildetere Klasse von Funktionären Europas Bühnen betritt.

 

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