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It`s just a rumour that was spread around town...

 
Ich habe an dieser Stelle ein paar Gedanken zu John Osbornes "Der Entertainer" mit Karlheinz Hackl in der Rolle als Archie Rice versprochen: Sie werden hier dargebracht.

hacklrice

Das Stück, 1957 gleichzeitig mit Laurence Olivier in London und Gustaf Gründgens in Hamburg uraufgeführt, hatte samstags an der Burg (wieder einmal) Premiere; ich hatte eine Karte für die Voraufführung tags zuvor. Die Handlung erzähle ich nicht nach, Sie finden eine Synopsis auf der eleganten Seite des Burgtheaters.

Ich habe das Theater nach drei Stunden mit einem Gefühl des Bedauerns verlassen. Sicher, Hackl schafft es grandios, den abgehalfterten Strizzi aus der Vorstadt zum Leben zu erwecken (er stellt also als guter Schauspieler einen schlechten Schauspieler gut dar. Verwirrend, nicht wahr?). Ich kann Ihnen auch empfehlen, sich das Stück anzuschauen: "Der Entertainer" ist einfach ein moderner Klassiker.

Trotzdem vergibt die Inszenierung von Karin Beier haufenweise Chancen, Brücken aus dem untergehenden Empire der Fünfziger Jahre ins englische Clubland von New Labour zu schlagen. Den Untergang der Musichalls und Vergnügungspiers von Brighton gegen Plastikunterhaltung und Livevivisektion auf Channel Four anno 2003 kontrastieren zu lassen. Archie Rice vs. Robbie Williams, Atomic Kitten und einen Premierminister, der Thatchers Früchte geniesst.

Der Übersichtlichkeit wegen eine Liste der Dinge, die ich bei "Der Entertainer" vermisste:

#1 Wohin soll die Reise gehen?
Das Grundproblem der Inszenierung ist, dass sie nicht weiss, in welcher Zeit sie spielen will. Das Bühnenbild ist ein kaputter Provinztheatersaal, die Möbel von der Caritas, ein alter Minifernseher zeigt Bilder von Tierfilmen aus den Achtziger Jahren. Was jetzt? 1957 oder 2003? Oder 1982? Es ist o.k., Stücke orginalgetreu zu inszenieren. Das ist hier aber nicht der Fall. Modern schaut es auf der Bühne auch nicht aus. Zeitlos - wie in der grandiosen "Emilia Galotti" von Andrea Breth - auch nicht.

#2 Genauere Kostümwahl.
Beier lässt Showgirls mit nicht sehr vorteilhaften Körperproportionen um Rice tanzen, was seine Abgeschmackheit unterstreichen soll. Gute Idee. Diese Mädels tragen aber hässliche Kleidung, die aus der Wühlkiste eines Kleidergeschäfts auf der Gudrunstrasse zu stammen scheint. Das passt nicht. Mutiger wäre es gewesen, diese Tänzerinnen so auszustatten, wie billige Go-Go-Girls wirklich ausschauen. Billig, aber bemüht protzig. Vermeintlich elegant. Die Kostüme der Rice-Familie wiederum lassen überhaupt keine Assoziationsketten losrasseln. Wirkt lieblos ausgewählt, was die anhaben.

#3 Historische Kontextbildung fehlt.
Osborne zeigt neben Rices Scheitern auch den Untergang des Britischen Empire vor dem Hintergrund der Suezkrise. Britische Jungs sterben im arabischen Wüstensand. So etwas nennt man einen Elfmeter ohne Tormann. Ich habe vergebens darauf gewartet, wie Beier den Bezug zur Causa I. herstellt. Wenn sie diese Brücke in die Gegenwart nicht schlagen will (was legitim wäre), dann muss sie den in Vergessenheit geratenen historischen Hintergrund für den Zuschauer erhellen. Videoinstallationen oder demonstrative Gegenstände auf der Bühne, die klarmachen, worum es damals ging. Was dem Publikum 1957 sonnenklar war, wissen heutige Besucher nicht mehr unbedingt.

#4 Vor welchen Abgründen stehen Entertainer heute?
Es ist schlecht, gewaltsam jedes Stück auf HEUTE zu trimmen: Keine Frage. Ich fände es aber interessant, das Topos "Old Showman hits the Ground" vor dem Hintergrund der hirnverbrannten Suche nach neuen "Stars" zu entfalten. Archie Rice zeigt das Ende der Kandidaten diverser Castingshows. Er ist eine Rampensau, ihm fehlt jede Spiritualität (das gibt er sogar selber zu). Er möchte nichts Neues schaffen, keine Kunst schöpfen. Er will im Mittelpunkt stehen. Koste es, was es wolle.

Das wissen die dauergewellten Niddls und fitnessgetrimmten Daniels in sandgestrahlten Denims natürlich nicht. Hätten sie nur den Hauch einer Ahnung, welch zynisches Spiel mit ihrem exhibitionistischen Zwang getrieben wird, sie kauften sich schleunigst eine Karte für das Stück. Und hörten danach Pulps "Help the Aged": You can dye your hair/But it}s the one thing you can change/Can}t run away from yourself...

Sindelar
Heute vor hundert Jahren kam in einem kleinen Dorf in der Nähe des tschechischen Jihlava der brillianteste Fussballspieler auf die Welt, der jemals das Trikot des österreichischen Nationalteams tragen durfte.

Matthias Sindelar starb am 23. Jänner 1939 gemeinsam mit seiner jüdischen Lebensgefährtin Camilla Castagnola an den Folgen einer Rauchgasvergiftung.

Eine umfangreiche Reportage über den "Papierenen" finden Sie hier.

Und auch das wunderschöne Gedicht von Friedrich Torberg: "Auf den Tod eines Fussballspielers".

Stellen Sie sich bitte kurz vor, Sie wären Darsteller eines kanadischen Films über typische Österreicher in Toronto. Sie ernährten sich morgens von Apfelstrudel, mittags von Geselchtem mit wässrigem Erdäpfelpurée und abends von saurer Wurst. Ausnahmslos.

Mit ihren Verwandten unterhielten Sie sich in brüchigem Englisch, obwohl doch Ihre Muttersprache österreichisches Deutsch wäre. Trotz mangelhafter Englischkenntnisse verwendeten Sie zweifelhafte Metaphern wie "My mother always seemed to me like an ephemeral butterfly of tenderly silky texture".

Je bedeutsamer Ihre Unterhaltungen wären, desto mehr weissen Gespritzten oder Bier würden Sie dabei konsumieren. Sie würden dadurch aber weder ausfallend noch larmoyant. Und gewalttätig schon gar nicht. Nur philosophierend-tiefsinnig.

Der kanadische Film wäre um Gesellschaftskritik und Zeitgenauigkeit bemüht. Sie und Ihre filmischen Familienangehörigen sähen folglich ständig Fernsehberichte aus Österreich, deren Themenauswahl in Berichten über die Regierungsbildung 2000, gewaltsame Strassendemos und brennende Asylantenheime ihre Grenzen fände.

Verstört Sie dieses Kopfkino? Gut. Dann können Sie nachempfinden, wie es mir gestern abend beim Pre-Screening des Films "Hurensohn" im Wiener Votivkino erging. Die anfängliche Freude über das Wiedererkennen jener ländlichen Gegend Ostslawoniens, aus welcher meine Familie väterlicherseits stammt, wich bald einem Ärger über die Aneinanderreihung banalster Stereotypen über Menschen aus Südosteuropa.

Da gab es den ständig Sliwowitz saufenden und weise Ratschläge erteilenden Onkel, die kreuzkatholische Tante, die Cevapcici in der Pfanne verbrannte (meine Grosstante in Osijek hätte sich eher beide Hände abhacken lassen, als uns SO etwas zu kredenzen). Und die sich im Geheimen prostituierende Mutter, deren "kroatischer" Akzent mich an diese spanische Programmansagerin auf VIVA erinnerte.

Ausländer in Österreich sprechen untereinander nicht in gestelzten hochdeutschen Sätzen. Sie verwenden dabei auch nicht das Imperfekt: Das mag in Deutschland anders sein, aber dort ist jenes auch Teil der Umgangssprache. Sie unterhalten sich, wenn sie nicht gut Deutsch sprechen, eben auf Rumänisch, Türkisch, Kroatisch oder Serbisch - in ihrer Muttersprache. Sind ihre Deutschkenntnisse besser, weil sie hier geboren oder zumindest zur Schule gegangen sind, dann verwenden sie es auch untereinander.

Ich hatte gestern im Kino das Gefühl, Regisseur Michael Sturminger sei auf eine sprachlich unzulängliche Romanvorlage von Gabriel Loidolt angewiesen gewesen. Ein subjektiver Eindruck, wohlgemerkt, denn ich habe das Buch "Hurensohn" nicht gelesen.

Wenn eine fremder Sprache für einen Film dramaturgisch bedeutsam ist, dann soll man sie auch tatsächlich hören (mit Untertiteln). Wenn ein bestimmter Akzent als stilistisches Mittel eingesetzt wird, dann muss dieser auch glaubwürdig wirken. Der Regisseur muss also seinen Darstellern einen Sprachtrainer zur Seite stellen. Vor allem, wenn er der Muttersprache der Charaktere nicht mächtig ist. Denn von dieser hängt ja ab, wie sich der Akzent anhört.

Das geringste Übel einer schlechten filmischen Umsetzung von Mehrsprachigkeit ist mangelnde Authentizität. Schlimmer finde ich, dass durch die einfallslose Bemühung abgelutschter Vorurteile die dargestellten Ausländer infantilisiert werden. Das kann auch durch die prinzipiell gute Absicht geschehen, sie in allen Lebenssituationen Hochdeutsch sprechen zu lassen. Das entspricht nicht der Wirklichkeit und lässt die Immigranten erst recht als fade Sprechpuppen erscheinen: Onkel Ante weist Tante Lilijana wegen ihrer Gottesfurcht sicher nicht mit Sätzen aus dem Schmalspurliteratenbaukasten zurecht. So etwas tut nicht einmal der grosse Ivica Osim im "echten" Leben mit primitiven ORF-Sportreportern.

Ich unterstelle Autor und Regisseur von "Hurensohn" guten Willen. Der Film ist solide produziert und gewinnt ab der Mitte an Qualität, weil die Ethnizität der Darsteller als bestimmender Faktor der Handlung hinter ihre Persönlichkeiten zurücktritt. Schade nur, dass die Darstellung von Ausländern im österreichischen Film so oft auf der tranigen Ölspur einfallsloser "Jugoklischees" ausgleitet.

Link:
http://www.filmstills.at/in_produktion/in_produktion_hurensohn1.htm

Dieses elektronische Logbuch trägt den Titel eines Songs von Elvis Costello vom Album "Punch the Clock" aus 1983. Kaufen Sie das, wenn es Sie interessiert. Oder "The very Best of" aus 1999, wenn Sie auch "Oliver}s Army" haben wollen.

Der Text dieses Lieds steht in krassem Gegensatz zu seiner burt-bacharachesken Verpackung. "Shipbuilding" ist also ein musikalisches Kuckucksei. So etwas ist immer reizvoll - denken Sie nur an Reagans Missinterpretation von "Born in the USA".

Von Elvis Costello habe ich übrigens gelernt, dass Misogynie nach aussen gekehrter Überdruss an sich selber sein kann.

Er (Costello) wird Ihnen an dieser Stelle also öfter begegnen. Ist einfach ein guter Zitatgeber. Ebenso wie das Burgtheater, Jarvis Cocker, Küchenunfälle und Brüssel.

Von letzterem Ort aus wird dieses Logbuch übrigens ab März mit Inhalt befüllt werden.

 

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