Bedeutsame Bretter
Am 7.12. wird das dramatisierte Protokoll der sogenannten "Vor-Wannsee-Konferenz" vom 12. November 1938 in Form einer szenischen Lesung an der Universität Wien aufgeführt.
Ja genau, das ist jenes Stück, welches vor ein paar Jahren mit Steinhauer, Maurer und Co. in der Börse stattgefunden hat.
Vor Beginn des Stückes wird es eine kurze Einführung durch einen Zeitgeschichtler der Uni Wien geben, der die Vorgeschichte und Folgen dieser Konferenz erläutern wird. Der Erlös der Veranstaltung wird einen karitativen Zweck gespendet.
PS: Gerne auch zum Weiterversenden, auf der eigenen Internetseite
lobpreisen, sich mit dem Edding auf die Stirn schreiben oder laut schreiend in der Fussgängerzone Verkünden.
"Pogrom - Ein Wirtschaftsthriller"
Szenische Lesung am 7.12., Kleiner Festsaal der Universität Wien
Am 12. November 1938 um 11.00 Uhr bittet Hermann Göring zu einer "Großen Besprechung über die Judenfrage" in den Sitzungssaal des Luftfahrtsministeriums. In dieser auch als "Vor-Wannsee-Konferenz" bekannten Besprechung geht es um die wirtschaftlichen Folgen des Pogroms, denn die geschädigten und ausgeplünderten Deutschen jüdischen Glaubens waren gut versichert bei deutschen Versicherungsgesellschaften. Wie also die Juden um ihre Ansprüche bringen?
Nun ist Management und Krisen-PR gefragt. Lösungen müssen her, möglichst legalisiert, denn mit dem Ausland führt man Geschäfte. Und schnell, denn "das Volk will, dass jetzt etwas passiert". Die Wiener, so eine Feststellung, würden in dieser Angelegenheit jedenfalls "besonders vorbildlich agieren".
Der Stenograph Fritz Dörr hatte das Protokoll dieser verhängnisvollen
Konferenz in einem Keller versteckt und übergab es nach Kriegsende den Amerikanern.
Aufgeführt wird das von Thomas Gratzer dramatisierte Protokoll als szenische Lesung von einer Gruppe junger Menschen, die ihr Engagement als Akt der Zivilcourage verstehen.
Besetzung:
Hermann Göring, Reichsfeldmarschall... Johannes Vetter
Dr. Josef Goebbels, Reichspropagandaminister... Oliver Grimm
Reinhard Heydrich, Chef d. Sicherheitspolizei... Josef Lentsch
Walther Funk, Wirtschaftsminister... Peter Wimberger
Hans Fischböck, österreichischer Handelsminister... Michael Gaudriot
Josef Bürckel, Reichsbeauftragter Österreich... Benno Kischel
Eduard Hilgard, Leiter der "Reichgruppe Versicherungen"... Harald Sidak
Herr Lange, ein Sekretär... Lukas Mandl
Aufführungstermin:
Dienstag, 7.12, 19h00
Kleiner Festsaal der Universität Wien
Dauer:
ca. 70 Minuten
Eintritt:
EUR 8.- / Studierende EUR 3.-
Kartenreservierung:
pogrom@gmx.at
Ja genau, das ist jenes Stück, welches vor ein paar Jahren mit Steinhauer, Maurer und Co. in der Börse stattgefunden hat.
Vor Beginn des Stückes wird es eine kurze Einführung durch einen Zeitgeschichtler der Uni Wien geben, der die Vorgeschichte und Folgen dieser Konferenz erläutern wird. Der Erlös der Veranstaltung wird einen karitativen Zweck gespendet.
PS: Gerne auch zum Weiterversenden, auf der eigenen Internetseite
lobpreisen, sich mit dem Edding auf die Stirn schreiben oder laut schreiend in der Fussgängerzone Verkünden.
"Pogrom - Ein Wirtschaftsthriller"
Szenische Lesung am 7.12., Kleiner Festsaal der Universität Wien
Am 12. November 1938 um 11.00 Uhr bittet Hermann Göring zu einer "Großen Besprechung über die Judenfrage" in den Sitzungssaal des Luftfahrtsministeriums. In dieser auch als "Vor-Wannsee-Konferenz" bekannten Besprechung geht es um die wirtschaftlichen Folgen des Pogroms, denn die geschädigten und ausgeplünderten Deutschen jüdischen Glaubens waren gut versichert bei deutschen Versicherungsgesellschaften. Wie also die Juden um ihre Ansprüche bringen?
Nun ist Management und Krisen-PR gefragt. Lösungen müssen her, möglichst legalisiert, denn mit dem Ausland führt man Geschäfte. Und schnell, denn "das Volk will, dass jetzt etwas passiert". Die Wiener, so eine Feststellung, würden in dieser Angelegenheit jedenfalls "besonders vorbildlich agieren".
Der Stenograph Fritz Dörr hatte das Protokoll dieser verhängnisvollen
Konferenz in einem Keller versteckt und übergab es nach Kriegsende den Amerikanern.
Aufgeführt wird das von Thomas Gratzer dramatisierte Protokoll als szenische Lesung von einer Gruppe junger Menschen, die ihr Engagement als Akt der Zivilcourage verstehen.
Besetzung:
Hermann Göring, Reichsfeldmarschall... Johannes Vetter
Dr. Josef Goebbels, Reichspropagandaminister... Oliver Grimm
Reinhard Heydrich, Chef d. Sicherheitspolizei... Josef Lentsch
Walther Funk, Wirtschaftsminister... Peter Wimberger
Hans Fischböck, österreichischer Handelsminister... Michael Gaudriot
Josef Bürckel, Reichsbeauftragter Österreich... Benno Kischel
Eduard Hilgard, Leiter der "Reichgruppe Versicherungen"... Harald Sidak
Herr Lange, ein Sekretär... Lukas Mandl
Aufführungstermin:
Dienstag, 7.12, 19h00
Kleiner Festsaal der Universität Wien
Dauer:
ca. 70 Minuten
Eintritt:
EUR 8.- / Studierende EUR 3.-
Kartenreservierung:
pogrom@gmx.at
werft - am Montag, 29. November 2004, 12:18 - Rubrik: Bedeutsame Bretter
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Harald Schmidts Oma: Na, Harald, was möchtest Du denn werden, wenn Du gross bist?
Harald Schmidt klein: Grafiker.
Harald Schmidts Oma (betreten schweigend): Ja...und was machst Du, wenn der Graf stirbt?
Danke.
werft - am Dienstag, 10. Juni 2003, 19:57 - Rubrik: Bedeutsame Bretter
Letzten Mittwoch, zwischen 22:41 und 00:04, hatte ich das perfekte Theatererlebnis.
Dieser Superlativ ist keine geistlose Floskel, denn das taxithéâtre, eine Produktion des Théâtre vingt-sept aus Marseille im Rahmen des Festival des Arts in Brüssel, hat mir die Augen für bisher vollkommen unbekannte Universen geöffnet.
How come, fragt sich der Fachmann, und der Laie wundert sich.
"taxithéâtre" läuft folgendermassen ab: Man wartet mit zwei Freundinnen mitten in der Nacht an einer Strassenecke auf einen zerbeulten alten Mercedes. Dieser wird von einer Schauspielerin gesteuert. Zu dritt nimmt man auf der leicht muffigen Rückbank Platz, während sie, das Autoradio voll aufgedreht, eine Geschichte zu erzählen beginnt. In meinem Fall Vous êtes mort je suis vivant nach einer Vorlage dieses Herren.
Sie erzählt also von Peter, dessen Frau Jane vor zwei Jahren an den Folgen einer H-Bombe starb (oder auch nicht...), von seiner verzweifelten Suche nach einem Ersatz für sie unter den sémi-vivants, bedauernswerten Homunculi, zwischen denen und den Menschen eine verschwommene, aber undurchlässige Grenze besteht. Draussen gleiten die Lichter von Louise vorüber...
Plötzlich ertönt eine Stimme von hinten, und mein Glaube, es handle sich um einen Lautsprecher, wird durch Peter widerlegt, der sich aus dem Kofferraum windet, Bon Soir wünscht, neben mir auf der Rückbank Platz nimmt (Gut aufgepasst. Ana musste nun auf den Beifahrersitz.) und die Fahrerin bittet, ein bestimmtes Café anzusteuern...
Spätestens nun war ich vollkommen in der Geschichte versunken. Die Stadt wurde zur einzig denkbaren Kulisse für diese postapokalyptische Geschichte von der Kopierbarkeit des Lebens, der Verzweiflung Peters und der Zynik der Werbung. Die Säulenheiligen von Petit Sablon werden zur neu produzierten Halblebenden, der Aufzug unter dem Palais de Justice zum gläsernen Sarkophag, in welchem uns Jane, regungslos und wunderhübsch, entgegenschwebt. Ich musste schlucken...
Nach einer Stunde ist alles vorbei. Peter und Jane haben das Taxi mehrmals verlassen, sind an den entlegensten Orten der Stadt wieder zugestiegen und schliesslich in der rue de Flandre verschwunden.
Zurück bleibt eine heisses Gefühl der Freude. Freude darüber, dass es Menschen gibt, die dafür leben, anderen Geschichten zu erzählen (hier kann man ein interessantes Interview mit der Schöpferin des "taxithéâtre", Anne Marina Pleis, lesen). Egal, ob nur drei Leute zuschauen können. Freude darüber, dass es Kunstpolitik gibt, die nicht dem Primat der Masse unterworfen ist. Freude darüber, etwas Wunderschönes, Erhabenes mit lieben Freunden erlebt zu haben.
Als wir die Lesse entlanggleiten, passieren wir ein Werbeschild mit der Aufschrift "Pour une méllieure vie". Peter deutet darauf und lächelt. Das war nicht Teil der Inszenierung...
werft - am Montag, 12. Mai 2003, 20:02 - Rubrik: Bedeutsame Bretter
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Spontanen Geistern sei an dieser Stelle die heutige Aufführung von Je veux je veux an der Volksoper ans Herz gelegt. Drei Gründe dafür:
#1 Um 19:30 Uhr findet eine Werkseinführung unter Mitwirkung des Orchesters statt. Gute Sache das, besonders wenn man (wie ich) vom Tanztheater nicht wirklich viel Ahnung hat.
#2 "Je veux je veux" ist die letzte Inszenierung unter der wunderbaren Liz King, die leider als Leiterin des Tanzbetriebes an der Volksoper abgesetzt wurde wie Dominique Mentha als Direktor. Meine Mutmassungen über die Gründe für diese Personalentscheidungen möchte ich für mich behalten. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der weiss, wo der Hase im Pfeffer hustet.
#3 Wir können uns darauf einigen, dass Kunst keinen Marktmechanismen unterworfen werden darf. Nachfrage und ökonomische Verwertbarkeit von künstlerischen Produkten (dieses Wort ist eigentlich auch unpassend) dürfen keine Determinanten von staatlicher Kunstförderung sein. Ansonsten hätte van Gogh ebenso niemals den Pinsel schwingen dürfen wie Daniil Charms schreiben: Beide waren mit ihrem Schaffen zu Lebzeiten wirtschaftlich nicht erfolgreich. Angesichts des gegenwärtigen neoliberalen "Politik"verständnis haben wir aber als Konsumenten offensichtlich eher denn als Wähler die Möglichkeit, den Einsatz öffentlicher Mittel zu beeinflussen. Konsequenterweise müssen wir die modernen Theaterproduktionen und Off-Bühnen stürmen, vehement in Elektrohandelsketten nach den CDs "alternativer" Musiker verlangen und ab und an die Skulptur eines jungen Bildhauers kaufen, wenn wir wollen, dass Kunst entsteht, welche Grenzpfähle in ästhetisches Neuland schlägt und sich nicht in selbstreferenzieller Beliebigkeit verliert. Nur so können wir Kunststaatssekretären, die sie von ihrem "schneeweissen New Wave Schizo Punk" noch immer nicht lösen können, den Weg ins 21. Jahrhundert weisen. Und bewirken, dass an der Volksoper ausser konservativen Inszenierungen der "Fledermaus" oder des "Zigeunerbaron" auch modernes Tanztheater produziert wird.
Darum, auch wenn es peinlich nahe an politischer Agitation liegt: Kauft nicht eine, kauft hunderte Karten für "Je veux je veux"!
werft - am Freitag, 14. Februar 2003, 12:47 - Rubrik: Bedeutsame Bretter
Ich habe an dieser Stelle ein paar Gedanken zu John Osbornes "Der Entertainer" mit Karlheinz Hackl in der Rolle als Archie Rice versprochen: Sie werden hier dargebracht.
Das Stück, 1957 gleichzeitig mit Laurence Olivier in London und Gustaf Gründgens in Hamburg uraufgeführt, hatte samstags an der Burg (wieder einmal) Premiere; ich hatte eine Karte für die Voraufführung tags zuvor. Die Handlung erzähle ich nicht nach, Sie finden eine Synopsis auf der eleganten Seite des Burgtheaters.
Ich habe das Theater nach drei Stunden mit einem Gefühl des Bedauerns verlassen. Sicher, Hackl schafft es grandios, den abgehalfterten Strizzi aus der Vorstadt zum Leben zu erwecken (er stellt also als guter Schauspieler einen schlechten Schauspieler gut dar. Verwirrend, nicht wahr?). Ich kann Ihnen auch empfehlen, sich das Stück anzuschauen: "Der Entertainer" ist einfach ein moderner Klassiker.
Trotzdem vergibt die Inszenierung von Karin Beier haufenweise Chancen, Brücken aus dem untergehenden Empire der Fünfziger Jahre ins englische Clubland von New Labour zu schlagen. Den Untergang der Musichalls und Vergnügungspiers von Brighton gegen Plastikunterhaltung und Livevivisektion auf Channel Four anno 2003 kontrastieren zu lassen. Archie Rice vs. Robbie Williams, Atomic Kitten und einen Premierminister, der Thatchers Früchte geniesst.
Der Übersichtlichkeit wegen eine Liste der Dinge, die ich bei "Der Entertainer" vermisste:
#1 Wohin soll die Reise gehen?
Das Grundproblem der Inszenierung ist, dass sie nicht weiss, in welcher Zeit sie spielen will. Das Bühnenbild ist ein kaputter Provinztheatersaal, die Möbel von der Caritas, ein alter Minifernseher zeigt Bilder von Tierfilmen aus den Achtziger Jahren. Was jetzt? 1957 oder 2003? Oder 1982? Es ist o.k., Stücke orginalgetreu zu inszenieren. Das ist hier aber nicht der Fall. Modern schaut es auf der Bühne auch nicht aus. Zeitlos - wie in der grandiosen "Emilia Galotti" von Andrea Breth - auch nicht.
#2 Genauere Kostümwahl.
Beier lässt Showgirls mit nicht sehr vorteilhaften Körperproportionen um Rice tanzen, was seine Abgeschmackheit unterstreichen soll. Gute Idee. Diese Mädels tragen aber hässliche Kleidung, die aus der Wühlkiste eines Kleidergeschäfts auf der Gudrunstrasse zu stammen scheint. Das passt nicht. Mutiger wäre es gewesen, diese Tänzerinnen so auszustatten, wie billige Go-Go-Girls wirklich ausschauen. Billig, aber bemüht protzig. Vermeintlich elegant. Die Kostüme der Rice-Familie wiederum lassen überhaupt keine Assoziationsketten losrasseln. Wirkt lieblos ausgewählt, was die anhaben.
#3 Historische Kontextbildung fehlt.
Osborne zeigt neben Rices Scheitern auch den Untergang des Britischen Empire vor dem Hintergrund der Suezkrise. Britische Jungs sterben im arabischen Wüstensand. So etwas nennt man einen Elfmeter ohne Tormann. Ich habe vergebens darauf gewartet, wie Beier den Bezug zur Causa I. herstellt. Wenn sie diese Brücke in die Gegenwart nicht schlagen will (was legitim wäre), dann muss sie den in Vergessenheit geratenen historischen Hintergrund für den Zuschauer erhellen. Videoinstallationen oder demonstrative Gegenstände auf der Bühne, die klarmachen, worum es damals ging. Was dem Publikum 1957 sonnenklar war, wissen heutige Besucher nicht mehr unbedingt.
#4 Vor welchen Abgründen stehen Entertainer heute?
Es ist schlecht, gewaltsam jedes Stück auf HEUTE zu trimmen: Keine Frage. Ich fände es aber interessant, das Topos "Old Showman hits the Ground" vor dem Hintergrund der hirnverbrannten Suche nach neuen "Stars" zu entfalten. Archie Rice zeigt das Ende der Kandidaten diverser Castingshows. Er ist eine Rampensau, ihm fehlt jede Spiritualität (das gibt er sogar selber zu). Er möchte nichts Neues schaffen, keine Kunst schöpfen. Er will im Mittelpunkt stehen. Koste es, was es wolle.
Das wissen die dauergewellten Niddls und fitnessgetrimmten Daniels in sandgestrahlten Denims natürlich nicht. Hätten sie nur den Hauch einer Ahnung, welch zynisches Spiel mit ihrem exhibitionistischen Zwang getrieben wird, sie kauften sich schleunigst eine Karte für das Stück. Und hörten danach Pulps "Help the Aged": You can dye your hair/But it}s the one thing you can change/Can}t run away from yourself...
Das Stück, 1957 gleichzeitig mit Laurence Olivier in London und Gustaf Gründgens in Hamburg uraufgeführt, hatte samstags an der Burg (wieder einmal) Premiere; ich hatte eine Karte für die Voraufführung tags zuvor. Die Handlung erzähle ich nicht nach, Sie finden eine Synopsis auf der eleganten Seite des Burgtheaters.
Ich habe das Theater nach drei Stunden mit einem Gefühl des Bedauerns verlassen. Sicher, Hackl schafft es grandios, den abgehalfterten Strizzi aus der Vorstadt zum Leben zu erwecken (er stellt also als guter Schauspieler einen schlechten Schauspieler gut dar. Verwirrend, nicht wahr?). Ich kann Ihnen auch empfehlen, sich das Stück anzuschauen: "Der Entertainer" ist einfach ein moderner Klassiker.
Trotzdem vergibt die Inszenierung von Karin Beier haufenweise Chancen, Brücken aus dem untergehenden Empire der Fünfziger Jahre ins englische Clubland von New Labour zu schlagen. Den Untergang der Musichalls und Vergnügungspiers von Brighton gegen Plastikunterhaltung und Livevivisektion auf Channel Four anno 2003 kontrastieren zu lassen. Archie Rice vs. Robbie Williams, Atomic Kitten und einen Premierminister, der Thatchers Früchte geniesst.
Der Übersichtlichkeit wegen eine Liste der Dinge, die ich bei "Der Entertainer" vermisste:
#1 Wohin soll die Reise gehen?
Das Grundproblem der Inszenierung ist, dass sie nicht weiss, in welcher Zeit sie spielen will. Das Bühnenbild ist ein kaputter Provinztheatersaal, die Möbel von der Caritas, ein alter Minifernseher zeigt Bilder von Tierfilmen aus den Achtziger Jahren. Was jetzt? 1957 oder 2003? Oder 1982? Es ist o.k., Stücke orginalgetreu zu inszenieren. Das ist hier aber nicht der Fall. Modern schaut es auf der Bühne auch nicht aus. Zeitlos - wie in der grandiosen "Emilia Galotti" von Andrea Breth - auch nicht.
#2 Genauere Kostümwahl.
Beier lässt Showgirls mit nicht sehr vorteilhaften Körperproportionen um Rice tanzen, was seine Abgeschmackheit unterstreichen soll. Gute Idee. Diese Mädels tragen aber hässliche Kleidung, die aus der Wühlkiste eines Kleidergeschäfts auf der Gudrunstrasse zu stammen scheint. Das passt nicht. Mutiger wäre es gewesen, diese Tänzerinnen so auszustatten, wie billige Go-Go-Girls wirklich ausschauen. Billig, aber bemüht protzig. Vermeintlich elegant. Die Kostüme der Rice-Familie wiederum lassen überhaupt keine Assoziationsketten losrasseln. Wirkt lieblos ausgewählt, was die anhaben.
#3 Historische Kontextbildung fehlt.
Osborne zeigt neben Rices Scheitern auch den Untergang des Britischen Empire vor dem Hintergrund der Suezkrise. Britische Jungs sterben im arabischen Wüstensand. So etwas nennt man einen Elfmeter ohne Tormann. Ich habe vergebens darauf gewartet, wie Beier den Bezug zur Causa I. herstellt. Wenn sie diese Brücke in die Gegenwart nicht schlagen will (was legitim wäre), dann muss sie den in Vergessenheit geratenen historischen Hintergrund für den Zuschauer erhellen. Videoinstallationen oder demonstrative Gegenstände auf der Bühne, die klarmachen, worum es damals ging. Was dem Publikum 1957 sonnenklar war, wissen heutige Besucher nicht mehr unbedingt.
#4 Vor welchen Abgründen stehen Entertainer heute?
Es ist schlecht, gewaltsam jedes Stück auf HEUTE zu trimmen: Keine Frage. Ich fände es aber interessant, das Topos "Old Showman hits the Ground" vor dem Hintergrund der hirnverbrannten Suche nach neuen "Stars" zu entfalten. Archie Rice zeigt das Ende der Kandidaten diverser Castingshows. Er ist eine Rampensau, ihm fehlt jede Spiritualität (das gibt er sogar selber zu). Er möchte nichts Neues schaffen, keine Kunst schöpfen. Er will im Mittelpunkt stehen. Koste es, was es wolle.
Das wissen die dauergewellten Niddls und fitnessgetrimmten Daniels in sandgestrahlten Denims natürlich nicht. Hätten sie nur den Hauch einer Ahnung, welch zynisches Spiel mit ihrem exhibitionistischen Zwang getrieben wird, sie kauften sich schleunigst eine Karte für das Stück. Und hörten danach Pulps "Help the Aged": You can dye your hair/But it}s the one thing you can change/Can}t run away from yourself...
werft - am Montag, 10. Februar 2003, 18:25 - Rubrik: Bedeutsame Bretter